Rainer Marie Rilke (1875-1926)

Das I. Sonett

 
octave

Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!

O Orpheus singt! O hoher Baum in Ohr!

Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung

ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.

Tiere aus Stille drangen aus dem klaren

gelösten Wald von Lager und Genist;

und da ergab sich, daß sie nicht aus List

und nicht aus Angst in sich so leise waren,

sestet

sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr

schien klein in ihren Herzen. Und wo eben

kaum ein Hütte war, dies zu empfangen,

ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen

mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, -

da schufst du ihnen Tempel im Gehör.